VEREINIGTES KÖNIGREICH 
Schmerzhaft langsame Fortschritte bei der Sterbehilfe
in weiten Teilen des Vereinigten Königreichs

 

Gastbeitrag von Trevor Moore*

Für die Einordnung der derzeitigen Lage in Bezug auf die Fortschritte bei der Einführung eines Sterbehilfegesetzes im Vereinigten Königreich und in den «Crown dependencies» (Kronbesitzungen des Vereinigten Königreichs, z.B. die Insel Jersey), ist es zunächst wichtig zu verstehen, dass die Befugnis, Gesetze zu erlassen, in den meisten Fällen bei den einzelnen Parlamenten liegt. Dies gilt auch für Schottland, die Isle of Man und Jersey. In allen drei Gebieten ist die Ausarbeitung eines Gesetzes zu Sterbehilfe weit fortgeschritten, und es ist denkbar, dass alle drei bis Ende 2024 oder Anfang 2025 ein Gesetz haben werden.

Das erste dieser drei Gebiete könnte Isle of Man sein, wo am 31. Oktober 2023 eine wichtige Hürde genommen wurde: Ein entsprechender Gesetzentwurf des Abgeordneten Dr. Alex Allinson wurde in der zweiten Lesung vom Parlament angenommen. Der Gesetzentwurf wird nun in die so genannte «clause stage» eintreten, in der die einzelnen Elemente des Gesetzes geprüft und über sie abgestimmt werden kann.

Schleppender Fortschritt in Westminster

Für England und Wales wird die Einführung eines Gesetzes vom Parlament in Westminster geregelt. Leider sind die Fortschritte hier viel langsamer. In den letzten zehn Jahren wurden dem Parlament drei so genannte «Private Members' Bills» (Gesetzesentwürfe) vorgelegt. Diese nennen sich «private», weil sie von einem einzelnen Politiker eingebracht werden, wenn er oder sie das Glück hat, dass dieser Vorschlag anstelle der Regierungsgeschäfte zur Behandlung ausgewählt wird. Alle drei Gesetzentwürfe wurden entweder abgelehnt (2015) oder scheiterten an der fehlenden Zeit im Parlament – letzteres ist der Fall, wenn die Regierung nicht bereit ist, die Debatte über einen Gesetzentwurf von einer Parlamentssitzung auf die nachfolgende zu übertragen.

Die drei Gesetzentwürfe waren einander jedenfalls insofern ähnlich, als sie Sterbehilfe nur für diejenigen Personen vorsahen, denen eine Lebenserwartung von sechs Monaten oder weniger prognostiziert wurde. Dies ist enger als das, wofür sich unsere Organisation «My Death My Decision» (MDMD) einsetzt (und enger als die Sterbehilfegesetze in Kanada, den Benelux-Ländern und der Schweiz), die ein Gesetz anstrebt, das für Menschen mit einer zum Tode führenden Krankheit (ohne das willkürliche Kriterium der verbleibenden Lebenserwartung) und für diejenigen gelten soll, die unerträglich an einer unheilbaren Krankheit leiden, wie unser mutiger Schirmherr Paul Lamb, der 2021 starb – lesen Sie hier mehr über ihn.

Die «HSCC Inquiry»

Jüngster Schritt war eine «Inquiry» (Untersuchung) zur Sterbehilfe durch den parteiübergreifenden Ausschuss für Gesundheit und Soziales (Health and Social Care Committee, HSCC) des House of Commons, d. h. das Unterhaus unseres zweistufigen Parlaments. Dieser Ausschuss ist kein Regierungsausschuss und legt daher seine eigenen Prioritäten fest. Er ist nicht befugt, Gesetzesänderungen zu verlangen und kann der Regierung lediglich Empfehlungen geben.

Der HSCC eröffnete die «Inquiry» im Dezember 2022 und schloss alle Konsultationen und Befragungen im Juli 2023 ab. MDMD und DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben haben beide eine schriftliche Stellungnahme eingereicht (HSCC-Stellungnahme MDMD und HSCC-Stellungnahme DIGNITAS), und DIGNITAS hat auf Einladung des Ausschusses an einer Befragung teilgenommen (mündliche Befragung DIGNITAS).

Der Bericht des HSCC wird in Kürze erwartet, sicherlich noch vor Ende des Jahres. Ob er konkrete Empfehlungen enthält, ist jedoch zu bezweifeln. Selbst wenn dies der Fall wäre, stehen im Vereinigten Königreich noch vor Ende Januar 2025 Parlamentswahlen an. Unsere Recherchen deuten darauf hin, dass keine der beiden grossen Parteien (Labour und Konservative) das Thema zu einem zentralen Wahlkampfthema machen wird, nicht zuletzt deshalb, weil alle Parteien erklärt haben, dass die Abstimmung über Sterbehilfe eine persönliche Gewissensfrage ist und daher nicht zu den Kerngeschäften der Regierung gehören wird.

Der derzeitige Vorsitzende der Labour-Partei, Keir Starmer, war der Leiter der Staatsanwaltschaft, der für die nach dem Fall Debbie Purdy eingeführten transparenteren Richtlinien für die strafrechtliche Verfolgung bei assistiertem Suizid verantwortlich war (s. auch unser Newsletterartikel von 2019). Vielleicht ist das ein Hoffnungsschimmer...

Die Liberaldemokraten wie auch die Grüne Partei haben Grundsätze zur Sterbehilfe verabschiedet.

MDMD setzt sich für einen Bürgerkonvent ein

Da es nicht möglich ist, durch das oben erwähnte, etwas willkürliche Verfahren der «Private Members' Bill» voranzukommen, und da der politische Wille fehlt, setzt sich MDMD nun für einen Bürgerkonvent zur Sterbehilfe ein. Bei dieser Forderung orientieren wir uns an der «Convention citoyenne» in Frankreich, die Anfang des Jahres 2023 tagte und sich mit überwältigender Mehrheit für ein Gesetz aussprach. Wir können nicht sicher davon ausgehen, dass das Ergebnis in England und Wales zwangsläufig dasselbe wäre. Meinungsumfragen haben jedoch immer wieder gezeigt, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung ein Gesetz befürwortet, und man kann erwarten, dass sich dies in einem repräsentativen Bürgergremium widerspiegeln würde.

Ein gut organisierter Bürgerkonvent würde den Abgeordneten die «Bürde» der Gewissensentscheidung abnehmen, die Wünsche der Bevölkerung widerspiegeln, und das Ergebnis könnte von allen respektiert werden. Wir erinnern auch an die (kleinere) «Citizens’ Jury» auf Jersey, die als Katalysator für den derzeitigen politischen Prozess diente.

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*Trevor Moore ist Vorsitzender von «My Death, My Decision», einer Organisation, die sich für Sterbehilfe engagiert. Eine Zusammenfassung der Kampagne von My Death, My Decision (MDMD) erschien in einem früheren Newsletterartikel im Jahr 2019.

 

 

Newsletter 2023-4-2

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