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FRANKREICH 
Hoffnung auf Legalisierung der Sterbehilfe und
Beschwerden am EGMR gegen den französischen Staat

 

Während die Politik den Menschen in Frankreich einmal mehr eine baldige Legalisierung der Sterbehilfe in Aussicht stellt, reichte eine Gruppe von 31 Personen am 28. April 2023 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Reihe von Beschwerden gegen Frankreich ein. Das von DIGNITAS koordinierte Verfahren dient dazu, das Recht auf Wahlfreiheit am Lebensende durchzusetzen und den Weg zur Sterbehilfe (Assistierter Suizid und/oder direkte aktive Sterbehilfe) in Frankreich zu ebnen.

In Frankreich lebende Personen können derzeit nicht frei über ihr Lebensende bestimmen. Sie haben keinen Zugang zu einem sicheren Medikament zur Beendigung des eigenen Lebens und sie können keine professionelle Hilfe beanspruchen, um sich dabei begleiten zu lassen. Die Politik drückt sich seit Langem um eine Entscheidung. Ähnlich wie Italien überlässt Frankreich das Feld gerne Bioethikern und behandelt Fragen der Selbstbestimmung über das eigene Lebensende als medizinethisches Problem. Oder als philosophische Frage.

Doch die Möglichkeit, das eigene Leiden und Leben unter Zuhilfenahme einer professionellen Unterstützung zu beenden, ist auch – und vor allem – eine Frage der individuellen Freiheit und (Menschen-)rechte. Dies haben unter anderen sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011* als auch das deutsche Verfassungsgericht 2020** festgehalten. Dieser Aspekt findet in Frankreich noch immer wenig Beachtung.

Öffentliche Debatten und zögerliche Politik

Eine grosse Mehrheit der Bevölkerung in Frankreich wünscht sich schon lange eine Legalisierung von Sterbehilfe. Bisherige Gesetzesvorstösse scheiterten regelmässig am Widerstand konservativer und kirchlicher Kreise. Die «Convention citoyenne sur la fin de vie», ein Bürgerkonvent, der sich von Dezember 2022 bis März 2023 im Auftrag des französischen Staates mit Themen des Lebensendes befasste, hat nun in den letzten Monaten in Frankreich eine breite und recht offene öffentliche und mediale Debatte über die Legalisierung einer Form von Sterbehilfe (Assistierter Suizid und/oder direkte aktive Sterbehilfe) eröffnet. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat gar ein Gesetz bis zum Sommer 2023 in Aussicht gestellt.

Völlig unklar sind jedoch die Modalitäten eines Gesetzes. Welche Form der Sterbehilfe soll erlaubt sein? Unter welchen Voraussetzungen? Welche Rolle soll Ärzten und Pflegenden dabei zukommen? Auch Aussagen öffentlicher Entscheidungsträger wie des Gesundheitsministers François Braun sind vage. Viele Stimmen verlangen zudem, dass erst einmal die heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen der so genannten «Loi Claeys Léonetti» besser umgesetzt werden sollen. So ist beispielsweise das Gesundheitssystem überlastet, die Palliativversorgung in vielen Regionen ungenügend, die Patientenverfügung wenig verbreitet. Dies sind legitime Anliegen und es ist wichtig, dass gesetzlich verankerte Möglichkeiten den Bürgerinnen und Bürgern auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Dies mindert jedoch nicht die Notwendigkeit, den Menschen auch eine sichere Möglichkeit zu geben, in ihrem eigenen Land Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können.

Wahlfreiheit und (Menschen-)recht als entscheidende Richtschnur

Es wird stets Personen in Frankreich geben, deren Lebensqualität aufgrund eines Leidens in einem für sie persönlich nicht tolerierbaren Mass eingeschränkt ist und auf das die Medizin keine für diese Personen ausreichenden Antworten hat. Zuzulassen, dass diese Menschen weiter leiden, einen riskanten Suizidversuch unternehmen, sich auf illegalem Weg ein tödliches Medikament verschaffen oder heimlich ins Ausland reisen müssen, zeugt von wenig Respekt für Menschen, für die ein Weiterleben zur Qual geworden ist. Warum soll man ihnen weiterhin verbieten, sich in Ruhe auf ihr Ende vorzubereiten und zuhause so zu sterben, wie sie es sich wünschen?

Trotz der zögerlichen Öffnung Frankreichs gegenüber dieser Thematik ist Skepsis angebracht. Der Zeitplan für ein Gesetz ist ehrgeizig, und es besteht das Risiko, dass ein Gesetz – so wie es auch in anderen Ländern der Fall ist – durch unnötige Hürden und einengende Voraussetzungen just jene Freiheit einschränkt, die zu garantieren es vorgibt. Der Verein DIGNITAS bringt seine Erfahrung seit vielen Jahren auch in gesetzgeberische Prozesse ein. Über Modalitäten kann und muss natürlich diskutiert werden. An oberster Stelle stehen jedoch die Wahlfreiheit und das (Menschen-)recht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu bestimmen.

Aus diesen Überlegungen heraus hat DIGNITAS 2021 in Frankreich den rechtlichen Weg beschritten.

Vom Conseil d’État zum EGMR in Strassburg

Der Conseil d’État (das höchste französische Verwaltungsgericht) wies am 29. Dezember 2022 zwei Beschwerden von DIGNITAS ab. Zuvor hatte er es in beiden Fällen abgelehnt, die aufgeworfenen Fragen im Rahmen einer «question prioritaire de constitutionnalité (QPC)» an den Conseil constitutionnel (Verfassungsrat) weiterzuleiten, mit der Begründung, dass, ungeachtet der Ernsthaftigkeit dieser Fragestellungen, Mängel in der Gesetzgebung nicht angefochten werden könnten.

In der ersten Beschwerde vom September 2021 ging es um die Rechtmässigkeit des derzeitigen vollständigen Verbots des Medikaments Natrium-Pentobarbital in der Humanmedizin. Die zweite Beschwerde vom Juli 2022 betraf die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, dass das derzeit in Frankreich geltende Gesetz, die sogenannte «Loi Claeys-Leonetti», assistierten Suizid und direkte aktive Sterbehilfe beiseitelässt.

Beide Beschwerden am Conseil d’État waren von mehreren Dutzenden in Frankreich ansässigen Privatpersonen, in der Mehrzahl DIGNITAS-Mitglieder, unterstützt worden. Diese unterstützenden Eingaben der Privatpersonen («requêtes en intervention») wurden vom Conseil d’État anerkannt. Damit wich die französische Justiz einer Gelegenheit aus, den Gesetzgeber aufzufordern, das Recht der Menschen in Frankreich zu gewährleisten, selbst über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden und dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig eröffneten die beiden Urteile diesen Privatpersonen die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Entscheidung über die in den beiden Beschwerden von DIGNITAS aufgeworfenen Rechtsfragen anzurufen.

31 der an den beiden Beschwerden beteiligten und in Frankreich ansässigen Privatpersonen nehmen diese Möglichkeit nun wahr. Am 28. April 2023 reichte der französische Anwalt Patrice Spinosi in ihrem Namen am EGMR entsprechende Beschwerden ein (s. DIGNITAS-Medienmitteilung vom 22. Mai 2023). Der EGMR wird nun über diese befinden und könnte die französische Regierung in einigen Monaten auffordern, sich zu erklären.

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* EGMR Entscheid vom 20.1.2011 in der Sache Haas gegen die Schweiz http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-102940;
«Im Lichte dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof dafür, dass das Recht eines Individuums, zu entscheiden, auf welche Weise und in welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, sofern es in der Lage ist, seine diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dem entsprechend zu handeln, einen der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Artikel 8 der Konvention darstellt.»

** http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/medienmitteilung-26022020.pdf

 

 

 

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