FRANKREICH 
Der Präsident und die Sterbehilfe:
Mutloses Taktieren statt Achtung der Rechte

 

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron kündigte am 13. September 2022 die Einberufung einer «Convention citoyenne» zum Thema Lebensende an. Damit löst er zwar ein Wahlversprechen ein, doch ob, wann und wie in Frankreich lebende Personen dereinst ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende in ihrem eigenen Land sicher und legal wahrnehmen können, ist weiterhin völlig offen.

Die Convention citoyenne: ein Feigenblatt?

Am 13. September 2022 kündigte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die Einberufung einer «Convention citoyenne» zum Thema Lebensende an. Ein nach bestimmten soziodemografischen Kriterien ausgelostes Laiengremium von 150 Bürgerinnen und Bürgern soll sich von Dezember 2022 bis März 2023 umfassend mit Themen des Lebensendes auseinandersetzen. Insbesondere soll es der Frage nachgehen, ob und inwiefern die bestehenden Möglichkeiten für die Begleitung am Lebensende individuellen Situationen gerecht wird und ob es Anpassungen oder Änderungen braucht. Danach kann das Gremium entsprechende – allerdings unverbindliche – Empfehlungen abgeben. Parallel dazu sollen in den Regionen Veranstaltungen und Debatten zum Thema stattfinden, um eine breitere Abstützung künftiger Lösungen zu erreichen.

Am selben Tag wurde auch ein Bericht des Comité consultatif national d'éthique (CCNE) veröffentlicht, welcher unter anderem die Legalisierung der Suizidhilfe in einem streng reglementierten Rahmen empfiehlt. Eher kritisch äussert sich der Bericht zum Modell einer direkten aktiven Sterbehilfe.

Der ermutigende Bericht kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weg noch lange sein kann und vermutlich auch wird. Bei der Ankündigung der Convention citoyenne hatte Macron noch ein Gesetz auf Ende 2023 in Aussicht gestellt. Doch die Politik ist bekanntlich ein volatiles Geschäft, Versprechen gelten oft nur in dem Moment, in dem sie abgegeben werden und Prioritäten richten sich nach aktuellem Geschehen und günstigen Winden. Dieser Gesetzmässigkeit folgend, soll Macron gemäss einem in «Le Figaro» erschienenen Artikel bereits kurze Zeit später, ausgerechnet bei seiner Rückkehr von seinem Besuch beim Papst, von diesem Termin Abstand genommen und in einem schwammigen Statement unter anderem auf die Bedeutung einer vertieften Auseinandersetzung hingewiesen haben. Honi soit qui mal y pense…

Fakten statt Palaver

Niemand wird bestreiten, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen des Lebensendes wichtig ist; diese findet in Frankreich allerdings schon seit vielen Jahren statt, genauso wie im Vereinigten Königreich und in Italien. Es wird viel geredet, geschrieben, versprochen und gestritten – doch passiert ist nichts. Für ein vernünftiges, praktikables und mehrheitsfähiges Gesetz braucht es keine weiteren moralischen, theologischen, philosophischen noch sonst wie weltanschaulich gearteten Reden und Diskussionsrunden und auch kein Feigenblatt in Form eines «Gremiums des Volkes», dessen Meinung hinlänglich bekannt ist. Was es vor allem braucht, ist eine faktenorientierte Auseinandersetzung mit Modellen in anderen Ländern und den Erfahrungen aus deren praktischer Umsetzung.

Immerhin scheinen sich die Vertreterinnen und Vertreter des kürzlich neu gewählten Parlaments dieser Tatsache bewusst zu sein: Eine mehrköpfige Delegation reiste in Begleitung verschiedener Medienvertreter Anfang Oktober nach Genf, um sich vor Ort über die Ausgestaltung der Suizidhilfe in der Schweiz zu informieren. Auch zwei Vertreter von DIGNITAS hatten Gelegenheit, das Schweizer Modell der Suizidhilfe vorzustellen und Fragen zu beantworten.

Klärung der Lage auf rechtlichem Weg

Die Erfahrung zeigt, dass der politische Weg allein allen (Wahl-)Versprechen und Gesetzesvorlagen zum Trotz nicht immer ans Ziel führt. DIGNITAS setzt daher, wie bereits in anderen Ländern, auch in Frankreich auf den juristischen Weg, um das (Menschen-)Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende einzufordern. Derzeit sind zwei von einem Rechtsanwalt in Paris im Auftrag von DIGNITAS initiierte Rechtsverfahren bei Frankreichs höchstem Verwaltungsgericht, dem Conseil d’État, hängig. Beide Verfahren stellen das derzeitige Verbot jeder aktiven Art von Sterbehilfe in Frankreich in Frage. Vereinfacht gesagt wurde im ersten Verfahren die Frage der Rechtmässigkeit des derzeitigen kompletten Verbots des Medikaments Natrium-Pentobarbital (NaP) in der Humanmedizin aufgeworfen. Das zweite Verfahren befasst sich mit der Frage, ob es rechtens ist, dass das in Frankreich heute geltende Gesetz, die so genannte «Loi Claeys-Leonetti», jegliche aktive Art von Hilfe zur selbstbestimmten Lebensbeendigung beiseitelässt.

Der Conseil d’État hat in beiden Fällen entschieden, die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen dem Verfassungsgericht nicht zur Beurteilung vorzulegen. Damit obliegt es nun dem Conseil d’État, über die in den beiden Fällen vorgebrachten Argumente und Fragestellungen zu beraten und zu urteilen. Die Entscheide sind in den nächsten Wochen zu erwarten. Sollten beide Verfahren am Conseil d’État scheitern, wird DIGNITAS den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg prüfen. Ob die Politik in Frankreich schneller ist als die Justiz, wird sich weisen.

 

 

 

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