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FRANKREICH 
DIGNITAS beschreitet den Rechtsweg


Nachdem eine Legalisierung der Sterbehilfe – sei es Suizidhilfe oder/und aktive Sterbehilfe – in Frankreich trotz klarem Volkswillen und günstiger Mehrheitsverhältnisse im Parlament in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, hat DIGNITAS entschieden, das Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende auf gerichtlichem Weg einzufordern.

Seit langem engagieren sich verschiedene Organisationen dafür, dass auch in Frankreich die Möglichkeit geschaffen wird, das eigene Leiden und Leben selbstbestimmt, zu einem selbst gewählten Zeitpunkt und sicher mit professioneller Hilfe beenden zu können. Doch haben ihre Bemühungen bisher insbesondere auf dem politischen Parkett keinerlei nennenswerten Fortschritt gebracht. Auch im vergangenen Frühjahr wurden zwei Gesetzesvorlagen zur Regelung der Selbstbestimmung über das eigene Lebensende durch undemokratische taktische Manöver ausgehebelt (s. Beitrag im DIGNITAS Newsletter vom Juni 2021).

Weshalb DIGNITAS den Rechtsweg beschreitet

Die heutige «Loi Claeys-Léonetti» [1] ist ein ungenügendes Surrogat für jene Freiheit, welche sich die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs seit vielen Jahren mit grosser Mehrheit wünschen [2]. Sie bietet keine echte Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes, auch wenn sich der Gesundheitsminister und weitere konservative Kreise immer wieder auf diese berufen. Sie argumentieren, dass es falsch sei, Sterbehilfe zu erlauben, solange die geltenden Bestimmungen betreffend Palliativversorgung, Patientenverfügung und Behandlungsabbruch nicht flächendeckend umgesetzt seien. Dieses Argument wird auch in anderen Ländern oft ins Feld geführt. Der Ruf nach einer flächendeckenden Palliativversorgung ist zwar berechtigt, doch schwer leidende Menschen dürfen immer aufgrund der Optionen entscheiden, die tatsächlich zur Verfügung stehen. Über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu entscheiden ist ein Menschenrecht. Es darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob bestimmte andere Optionen flächendeckend zur Verfügung stehen.

DIGNITAS hat sich deshalb entschieden, wie bereits in anderen Ländern, auch in Frankreich die Wahlfreiheit über das eigene Lebensende auf dem Weg über die Gerichte zu erlangen. Der Verein ist der Auffassung, dass dieses Recht zwar in der französischen Verfassung implizit enthalten ist, jedoch widerrechtliche Verordnungen in Frankreich nach wie vor verhindern, dass es ausgeübt werden kann. Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bereits 2011 in einem Verfahren von DIGNITAS folgendes festgehalten: «Im Lichte dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof dafür, dass das Recht eines Individuums, zu entscheiden, auf welche Weise und in welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, sofern es in der Lage ist, seine diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dem entsprechend zu handeln, einen der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Artikel 8 der Konvention darstellt» [3].

Worum es bei der Beschwerde geht

Die vom französischen Rechtsanwalt Patrice Spinosi im Auftrag von DIGNITAS beim französischen Conseil d’État eingereichte Beschwerde bezieht sich im Wesentlichen auf die Tatsache, dass das Medikament Natrium-Pentobarbital [4] in Frankreich auf der Liste der für eine Verschreibung unzugänglichen Betäubungsmittel geführt wird, ohne dass für die Verwendung zur eigenen Lebensbeendigung eine Ausnahme gemacht wird. Gleichzeitig mit der Beschwerde wurde dem Conseil d’État eine so genannte «QPC» (question prioritaire de constitutionnalité; ein Antrag auf verfassungsrechtliche Überprüfung einer gesetzlichen Bestimmung) gestellt. Geprüft werden soll die Frage, ob es überhaupt verfassungskonform ist, wenn im Gesetz für die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der selbstbestimmten Lebensbeendigung keine Ausnahme gemacht wird.

Der Beschwerde vorangegangen war eine so genannte «demande d’abrogation» (Aufhebungsantrag) beim Premierminister und beim Gesundheitsministerium. Nachdem diese die vom Gesetz vorgesehene zweimonatige Frist verstreichen liessen, ohne den Antrag zu beantworten, wurde der Weg frei für die Anrufung des Conseil d’État.

Die Argumentation der Beschwerdebegründung stützt sich im Wesentlichen auf die französische Verfassung, auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und weiterer Gerichte, sowie auf die positiven Erfahrungen der Schweiz aus 35 Jahren Wahlfreiheit und professionelle Begleitung für ein selbstbestimmtes Lebensende.

Mehr Informationen zum Gerichtsfall finden Sie in der DIGNITAS - Medienmitteilung vom 22. September 2021.

Derzeitige Lage in Frankreich

Themen rund um das Lebensende sind in Frankreich politisch stets umstritten und auch die konservativen Kräfte aus Medizin und Bioethik haben noch immer grossen Einfluss. Zwar konnten in den letzten Jahren im Bereich der Patientenverfügung, beim Abbruch lebenserhaltender Massnahmen und bei der Palliativbehandlung gewisse Fortschritte erzielt werden [5]. Eine palliative Sedierung ist jedoch nur bei Personen erlaubt, die unmittelbar vor dem Lebensende stehen. Damit sind nach wie vor zahlreiche schwer leidende Personen vom Recht ausgeschlossen, zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt ihr Leben auf legale und sichere Weise in Frankreich zu beenden, wenn sie dies wünschen. Sie sehen sich gezwungen, entweder den beschwerlichen Weg zu einer Freitodbegleitung in die Schweiz zu gehen, sich auf illegalem Weg ein Sterbemittel zu beschaffen oder einen Suizidversuch mit riskanten Methoden und Mitteln zu unternehmen; die Mehrzahl solcher Suizidversuche scheitert, mit gravierenden Folgen.

Obschon in Frankreich gemäss Umfragen über 90 Prozent der Bevölkerung [6] und über 70 Prozent der Ärzte [7] aktive Sterbehilfe grundsätzlich befürworten, sind das Lebensende und der Suizid in Frankreich noch immer mit vielen Tabus belegt. Wer sein Leben beenden will, scheint grundsätzlich unter dem Verdacht zu stehen, entweder nicht urteilsfähig oder psychisch krank zu sein. Suizid ist zwar nicht verboten, doch wird bereits das Gewähren von Zugang zu Informationen über Suizidmethoden unter Strafe gestellt; eine Person, die über Suizidabsichten einer anderen Person informiert ist, diese aber nicht «rettet», kann wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden, und Personen, die ihr Leben beenden wollen, können unter dem Vorwand des Lebensschutzes psychiatrisch zwangsverwahrt werden.

***

[1] LOI n° 2016-87 du 2 février 2016 créant de nouveaux droits en faveur des malades et des personnes en fin de vie;
https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000031970253?r=hMFAQjT2cS

[2]http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=138&lang=fr (in französischer Sprache)

[3] EGMR Entscheid vom 20.1.2011 in der Sache Haas gegen die Schweiz
http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-102940; http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-102939

[4] Natrium-Pentobarbital gilt als das zuverlässigste und sicherste Mittel zur Beendigung des eigenen Lebens. In der Schweiz wird es bereits seit vielen Jahren bei Freitodbegleitungen eingesetzt.

[5] LOI n° 2016-87 du 2 février 2016 créant de nouveaux droits en faveur des malades et des personnes en fin de vie;
https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000031970253?r=hMFAQjT2cS

[6] http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=138&lang=fr (in französischer Sprache)

[7] http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=138&lang=fr (in französischer Sprache)

 

 

 

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