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FRANKREICH 
Taktieren vor dem Wahlkampf und ein bedeutsames Strafverfahren


In Frankreich bleibt die Wahlfreiheit bezüglich des eigenen Lebensendes trotz zahlreicher Gesetzesvorstösse den Bürgerinnen und Bürgern verwehrt. Mit Suizidhilfe oder direkter aktiver Sterbehilfe tut sich die Politik schwer; dies, obschon gemäss Umfragen über 90 Prozent der Bevölkerung [1] und über 70 Prozent der Ärzte [2] diese grundsätzlich befürworten. Daneben läuft ein Strafverfahren gegen mehrere Personen im Umfeld der Organisation «Ultime Liberté» (http://ultimeliberte.fr/guppy), in dessen Verlauf es zu interessanten grundlegenden Fragestellungen bezüglich der bestehenden Einschränkungen des Rechts auf ein selbstbestimmtes Lebensende und des Zugangs zu Informationen und Mitteln zu dessen Umsetzung kommen könnte.

Kaum Fortschritte in Frankreich

Im Bereich der Selbstbestimmung bezüglich des eigenen Lebensendes hat sich in den letzten Jahren im westlichen Europa einiges bewegt. In Deutschland wurde 2020 das seit 2015 geltende Verbot der «geschäftsmässigen Förderung der Suizidhilfe», also der wiederholten und somit professionell unterstützten Suizidhilfe, aufgehoben [3]. In Österreich wird per Ende 2021 der Abschnitt im Strafgesetz, der jegliche Art von Suizidhilfe unter Strafe stellt, aufgehoben [4]. In Spanien tritt im Juni 2021 ein im März angenommenes Gesetz zur Regelung der direkten aktiven Sterbehilfe und der Suizidhilfe in Kraft, und auch in Portugal dürfte dies in absehbarer Zeit der Fall sein.

In Frankreich hingegen haben Gesetzesvorschläge diverser Organisationen und Aktivistengruppen bisher nicht zum Ziel geführt. Zwar konnten in den letzten Jahren im Bereich der Patientenverfügung, beim Abbruch lebenserhaltender Massnahmen und bei der Palliativbehandlung gewisse Fortschritte erzielt werden [5]. Eine palliative Sedierung ist jedoch nur erlaubt bei Personen, die unmittelbar vor dem Lebensende stehen. Damit sind nach wie vor zahlreiche schwer leidende Personen vom Recht ausgeschlossen, ihr Leben auf legale und sichere Weise in Frankreich zu beenden, wenn sie dies wünschen. Sie sehen sich gezwungen, entweder den oft beschwerlichen Weg zu einer Freitodbegleitung in der Schweiz zu gehen, sich auf illegalem Weg ein Sterbemittel zu beschaffen oder einen Suizidversuch mit riskanten Methoden und Mitteln zu unternehmen; die Mehrzahl solcher Suizidversuche scheitert, mit gravierenden Folgen.

Eine Flut von Gesetzesvorschlägen und fehlender politischer Wille

Am 11. März 2021 wurde im Senat eine von der Senatorin Marie-Pierre de La Gontrie eingereichte Gesetzesvorlage zwar mehrere Stunden lang behandelt. Sie war jedoch bereits vor der Senatsdebatte von der vorberatenden Kommission abgelehnt worden; die Debatte geriet zum politischen Schaulaufen, bei dem sich die einzelnen Parteienvertreter wortreich positionierten. Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran stellte sich auf den Standpunkt, man habe mit den bestehenden Gesetzen bezüglich des Lebensendes eine ausreichende Basis und stellte einen Ausbau der Palliativversorgung in Aussicht. Dabei ist längst bekannt, dass Palliativversorgung die Sterbehilfe nicht ersetzen kann, sondern beides eigene Wege der Leidensminderung sind, die sich gegenseitig ergänzen.

Vier Gesetzesvorschläge aus den Reihen der Abgeordneten der «Assemblée Nationale» stehen ebenfalls zur politischen Debatte an. Am 8. April 2021 wird das französische Parlament erstmals über den im Oktober 2017 eingereichten Vorschlag des Abgeordneten Olivier Falorni debattieren [6]. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der sich zu Beginn seiner Amtszeit für die Sterbehilfe ausgesprochen hatte, schweigt sich zum Thema Gesetzgebung hartnäckig aus. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament für ein Gesetz stehen derzeit günstig, doch angesichts der Krise im französischen Gesundheitssystem, die sich durch Covid-19 nochmals deutlich verschärft hat, und des bevorstehenden Wahlkampfes (im Frühling 2022 finden die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt) ist es wohl unwahrscheinlich, dass ein Gesetz noch in dieser Legislaturperiode erlassen wird.

Grundlegende Fragestellungen bezüglich der Wahlfreiheit über das eigene Lebensende

Das Lebensende, insbesondere der Suizid, ist in Frankreich noch immer mit vielen Tabus belegt. Wer sein Leben beenden will, scheint grundsätzlich unter dem Verdacht zu stehen, entweder nicht urteilsfähig oder psychisch krank zu sein. Suizid ist zwar nicht verboten, doch wird das Gewähren von Zugang zu Informationen über Suizidmethoden unter Strafe gestellt; eine Person, die über Suizidabsichten einer anderen Person informiert ist, diese aber nicht «rettet», kann wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden, und Personen, die ihr Leben beenden wollen, können unter dem Vorwand des Lebensschutzes psychiatrisch verwahrt werden.

Eine wirklich offene gesellschaftliche Debatte über ein selbstbestimmtes Lebensende wird dadurch so gut wie verunmöglicht. Personen und Organisationen, die sich öffentlich für dieses Recht und diese Freiheit, insbesondere für Suizidhilfe, einsetzen, werden von den Behörden mit Misstrauen betrachtet. Ende 2019 fanden in Frankreich bei über 100 Privatpersonen, die im Internet das in Frankreich verbotene Nembutal (ein Handelsname für das in der professionell begleiteten Suizidhilfe der Schweiz eingesetzte Medikament Natrium-Pentobarbital) gekauft hatten, Hausdurchsuchungen statt. Offiziell war dies Teil einer internationalen Aktion zur Unterbindung eines aus den USA betriebenen illegalen Medikamentenhandels. Ebenfalls wurden die Räumlichkeiten von «Ultime Liberté»  durchsucht, einer Organisation, die sich seit vielen Jahren für Selbstbestimmung über das eigene Lebensende in Frankreich einsetzt.

Ein Grossteil der von den Durchsuchungen betroffenen Privatpersonen waren ältere Menschen, die nichts weiter wollen als selbst zu entscheiden, wann ihr Leben enden soll, und die dies auf sichere Art und Weise tun wollen. Sie wissen, dass sie in Frankreich diese Möglichkeit nicht haben und wollen vernünftigerweise nicht von einer Brücke springen, vor den Zug gehen oder sich sonst wie dem Risiko eines gescheiterten Suizidversuchs aussetzen. Der Staat beraubt sie mit seinen Verboten ihrer Wahlfreiheit und begünstigt damit den illegalen Medikamentenhandel, den er zu bekämpfen vorgibt.

In der Zwischenzeit wurde gegen rund ein Dutzend Personen im Umfeld von «Ultime Liberté» ein Strafverfahren eröffnet; die Anklagepunkte reichen von Import und Besitz illegaler Substanzen über Informationsvermittlung zum Zugang und Erwerb solcher Substanzen bis hin zu aktiver Hilfe zu deren Erwerb und Zubereitung. Das Verfahren dürfte interessante Fragen bezüglich der Freiheit und des Rechts auf Zugang zu Informationen und zu Unterstützung bei der selbstbestimmten Beendigung des eigenen Lebens aufwerfen.

 

***

[1] http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=138&lang=fr (in französischer Sprache)

[2] http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=138&lang=fr (in französischer Sprache)

[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-012.html; siehe auch: http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/medienmitteilung-26022020.pdf

[4] https://www.vfgh.gv.at/rechtsprechung/Ausgewaehlte_Entscheidungen.de.html; siehe auch: http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/medienmitteilung-11122020.pdf

[5] LOI n° 2016-87 du 2 février 2016 créant de nouveaux droits en faveur des malades et des personnes en fin de vie; 
https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000031970253?r=hMFAQjT2cS

[6] https://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/textes/l15b0288_proposition-loi (in französischer Sprache)

 

 

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